Dialog, Geduld, Verständnis und Agilität!

Beitrag von Corinne Becker Vermeulen, Livio Lugano und Rick Trap

Vor mehr als einem Jahr überschlugen sich die Ereignisse und Massnahmen, um die Ausbreitung des Covid-19 einzudämmen. Wir standen alle vor einer neuen und aussergewöhnlichen Situation. Neben den unternehmensinternen Herausforderungen kamen externe – bspw. bei den Erhebungsdurchführungen – hinzu. Einerseits bedingte die Verlagerung ins Homeoffice das Umstellen diverser Prozesse – dies bei noch unstabilem Bundesnetz – und andererseits konnten die Daten bestimmter Branchen nicht mehr oder nur schwer eingeholt werden.

Was haben wir konkret gemacht, um die Krise zu meistern? Besonders gefordert waren die Mitarbeitenden der verschiedenen Konjunkturstatistiken wie der Preis-, Beschäftigungs-, Produktions- und Umsatzstatistik.

Machen wir einen Zeitsprung zurück zum 16. März 2020!

Der vom Bundesrat verhängte Ausnahmezustand erschütterte die Schweizer Bevölkerung: In wenigen Tagen leerten sich die Strassen, Homeoffice war angesagt, Schulen blieben geschlossen ebenso alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte.

Die Konsequenzen für die Konjunkturstatistiken, insbesondere die Monatsstatistiken, wurden schnell deutlich. Es stellten sich folgende Fragen: Wie erfassen wir die Informationen von den Unternehmen und Läden? Können unsere Preiserheber noch ins Feld hinausgehen? Sind die Unternehmen noch in der Lage, uns die gewünschten Daten zur Verfügung zu stellen? Sind die Unternehmen noch erreichbar? Wie gehen wir mit all den Antwortausfällen und fehlenden Daten um?

Covid-19 tangierte die Statistikproduktion von der Erhebung bis zur Diffusion, aber auch uns selber! Massnahmen mussten schnell definiert und umgesetzt werden.

Sensibilisieren und einen verständnisvollen Dialog führen

Mit den üblichen Erhebungsunterlagen (Standardbrief, Merkblatt und Fragebogen) wurde ein Erklärungsbrief «Pandemie und statistische Datenerhebungen» an die Unternehmen versandt. In diesem zeigten wir Verständnis für ihre Situation, wiesen aber auch auf die Bedeutung ihrer Daten hin.

Die Datenbeschaffung bereitete uns Sorgen; die Meldepflichtigen mussten sensibilisiert werden.

«Genau in solchen Zeiten sind statistische Informationen dringend notwendig»

Livio Lugano, Abteilungschef WI

Der Dialog mit den Unternehmen gestaltete sich in der Covid-Krise als äusserst anspruchsvoll. Rückmeldungen wie die folgende machten die Arbeit nicht einfach:

«Sehr geehrtes Bundesrat
Bevor ich für Sie irgendwas ausfülle – handeln Sie erstmal. Ich warte noch immer auf die Härtefallentschädigung und auf die Kurzarbeitsentschädigungen für die Monate Januar und Februar. Ja, und ich habe alles korrekt ausgefüllt. Handeln Sie und verlangen Sie nicht mehr von uns zu handeln. Der Ball ist bei Ihnen. Mir egal – ob bei Ihrer Abteilung oder bei einer anderen – Ihr seid alles Lohnbezüger von meinen Steuern. Reden und schreiben kann jeder – handeln nur die wenigsten.»

Rückmeldung eines Unternehmers

Wir wurden vermehrt nicht mehr als Bundesamt für Statistik wahrgenommen, sondern als «DIE Bundesverwaltung». Solche Reaktionen gab es einige, was für unsere Kolleginnen und Kollegen nicht immer einfach zu handhaben war.

«Es sind zum Teil ziemlich heftige Telefonate oder Mails und es belastet psychisch schon…»

Rückmeldung einer Mitarbeitenden aus der Produktion

Die Situation war für alle Beteiligten auf allen Hierarchiestufen neu und der Druck stieg an allen Fronten. Nur durch mehr Dialog, mehr Geduld und gegenseitigem Verständnis konnten diese neuen Herausforderungen gemeistert werden.

Und wie waren die Auswirkungen auf die Rücklaufquoten?

Es zeigte sich, dass die Erreichbarkeit der Unternehmen ein grosses Problem darstellte.
Daher ist es auch wenig überraschend, dass die Rücklaufquoten unter den gegebenen Umständen etwas tiefer waren als üblich. Beim Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) war die Rücklaufquote teilweise markant tiefer. Da die Meldungen nicht mit historischen Referenzwerten verglichen werden konnten, wirkte sich das auch auf die Plausibilisierung und Validierung der Daten aus. Dies wiederum führte zu vermehrten Rückfragen bei den Unternehmen. Dennoch erlaubten uns die erzielten Rücklaufquoten qualitativ gute statistische Informationen unseren Nutzern zur Verfügung zu stellen. Die errechneten Ergebnisse wurden im Austausch mit anderen Partnerinstitutionen wie dem SECO, der KOF oder den Wirtschaftsverbänden reflektiert und analysiert.

Sich in Agilität üben

Die Mitarbeitenden der Preisstatistiken waren besonders gefordert. Für bestimmte Arten von Erhebungen gibt es zwar Notfallpläne wie bspw. Scannerdaten, aber noch nie standen wir vor der Situation, Indizes mit so vielen fehlenden Preisen berechnen zu müssen. Wir hatten zwei Wochen Zeit, um die Preisumfragen für die ersten beiden Aprilwochen zu organisieren und die Ergebnisse zu berechnen.

Für den LIK werden 40% der Preise von einem Marktforschungsinstitut vor Ort in mehr als 1000 Verkaufsstellen erhoben. Diese wurden schnell nach drei Kriterien klassifiziert: a) Entweder ist das Geschäft geöffnet, dann wird durch einen telefonischen Kontakt ermittelt, ob die Feldbefragung durchführbar und autorisiert ist; oder b) das Geschäft ist geschlossen, hat aber eine Online-Website mit Lieferservice, so dass die Feldbefragung durch eine Online-Befragung ersetzt werden kann; oder c) das Geschäft ist geschlossen und bietet online nichts an, was die Preisbefragung verunmöglicht und fehlende Preise erzeugt. Gleiches wurde für die von BFS-Mitarbeitenden kontaktierten Verkaufsstellen gemacht.

Wir mussten noch eine Lösung für die fehlenden Preisen finden. Im April 2020 konnten im Durchschnitt 20% der Preise des Warenkorbes nicht erhoben werden. Dank der Diversifizierung und Modernisierung der Erhebungsmethoden in den letzten 20 Jahren, war das Ausmass der fehlenden Preise erheblich begrenzt. Die Sektoren mit den wenigsten Preisen waren Bekleidung und Schuhe, Restaurants und Hotels. Bei einigen Dienstleistungen, wie z.B. Coiffeuren, wurden gar keine Preise erfasst. Ein vorübergehend fehlender Preis muss imputiert/eingesetzt werden. Es wurden zwei Techniken angewandt: Für stabile Märkte ohne saisonalen Zyklus wurde der zuletzt aufgezeichnete Preis fortgeschrieben, wobei eine Preisänderung von Null angenommen wurde, während für volatilere und saisonale Märkte die Preisänderung der Warengruppe, zu der das fehlende Produkt gehört, angewandt wurde, was sich neutral auf die Ergebnisse auswirkte.

In dieser Zeit fand ein sehr intensiver Austausch mit unseren internationalen Kollegen statt, da sich alle Länder, die Preisstatistiken erstellen, in der gleichen Situation befanden. Daraus entstand die Online-Konferenz «COVID-19» mit mehreren hundert Teilnehmern.

Unser Hauptziel war und ist es, die Qualität der veröffentlichten Ergebnisse auch in Krisenzeiten weiterhin zu gewährleisten und die in dieser aussergewöhnlichen Situation angewandten Techniken transparent zu machen. Es war eine intensive Zeit, emotional schwierig, aber methodisch spannend! Wobei wir bei der letzten Massnahme wären.

Vertrauen schaffen durch Transparenz

Vor allem im Kontakt mit den Partnerinstitutionen und den Datennutzern haben wir auf Transparenz gesetzt. Wir kommunizierten immer offen über die angewandten Methoden und die aktuelle Situation in der Statistikproduktion. Demensprechend haben wir auch unsere Pressemitteilungen angepasst.

Pandemie und statistische Ergebnisse
Infokasten der Medienmitteilungen des BFS

Wir befinden uns nun schon seit über einem Jahr im Covid-Krisenmodus. Viele erleben ihn wohl ähnlich wie folgender Mitarbeiter:

«Nach einem etwas abrupten Anfang, wo man sich das Arbeiten von zu Hause einrichten, die Holpersteine aus dem Weg räumen und sich neu organisieren musste, entstand für mich ein neuer Alltag mit Skype anstelle Präsenz als Kontaktrohr. Der Arbeitsweg fällt aus, das ist positiv. Aber der Austausch in der physischen Präsenz, unter anderem die zufälligen informellen Wortwechsel im Team und die Kollegen «Face to Face» zu sehen, fängt schon an zu fehlen.»

Ein Mitarbeiter der Abteilung WI

Wir wünschen uns alle, schnellstmöglich wieder etwas zur Normalität zurückkehren zu können – privat wie beruflich!

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